Josef Quack

Ironische Politik, nach Theodor Mommsen
Ein Meisterstück deutscher Prosa





Da es in diesen Wochen, das öffentliche Leben angehend, nichts zu lachen und nichts zu bewundern gibt, möchte ich auf ein Meisterstück deutscher Prosa von Theodor Mommsen hinweisen, das das Herz jedes Verständigen erfreuen kann. Der Text spricht für sich selbst, so daß ich seine Vorzüge und Glanzlichter nicht herausstreichen muß. Er ist sichtlich geschult am Periodenbau des Lateinischen, eine Kritik Ciceros als Politiker im Stil Ciceros als Redner. Die Lektüre Mommsens ist aber auch deshalb so erfrischend, weil er noch keine politische Korrektheit kennt.

Der Passus handelt von Vorgängen aus dem Jahre 58 v. Chr., als Pompeius, Caesar und Crassus nach der Niederschlagung der Revolte Catilinas ein Bündnis gegen die Herrschaft des Senats schlossen. Ihnen ging es darum, zwei ihrer Gegner zu bestrafen: den ehemaligen Konsul Cicero und den Senator Marcus Porcius Cato, nicht zu verwechseln mit dem alten Cato, seinem Urgroßvater aus der Zeit der Punischen Kriege. Der jüngere Cato war, nach Mommsen, ein „halb närrischer“ Rechtsfanatiker, ein unbegabter, aber hartnäckiger Imitator seines Vorfahren. Als Caesar seine Gegner besiegt hatte, gab Cato sich selbst den Tod in Utica (46 v. Chr.). Mit dem Justizmord des 5. Dezember 63 v. Chr. ist die von Cicero befohlene Hinrichtung einiger Anhänger des Catilina gemeint.

Hauptsächlich galt es Cato zu entfernen, welcher seiner Überzeugung von der Nichtigkeit der sämtlichen Julischen Gesetze keinen Hehl hatte, der Mann war so, wie er dachte, zu handeln. Ein solcher Mann war freilich Marcus Cicero nicht, und man gab sich nicht die Mühe, ihn zu fürchten. Allein die demokratische Partei Caesars, die in der Koalition die erste Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dezember 63 v. Chr., den sie so laut und mit so gutem Recht getadelt hatte, unmöglich nach ihrem Siege ungeahndet lassen. ...
Selbst gegen Cicero hätten die Machthaber gern Aufsehen erregende Schritte vermieden; allein derselbe konnte es nicht über sich gewinnen, weder den Machthabern die verlangten Garantien zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm dargebotenen schicklichen Vorwände sich selbst von Rom zu verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen jeden Anstoß zu vermeiden, und der aufrichtigsten Angst hatte er doch nicht Haltung genug, um vorsichtig zu sein; das Wort mußte heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn sein durch das Lob so vieler adliger Herren fast übergeschnapptes Selbstbewußtsein die wohlkadenzierten Perioden des plebejischen Advokaten schwellte.
Die Ausführung der gegen Cato und Cicero beschlossenen Maßregeln ward dem lockeren und wüsten, aber gescheiten und vor allen Dingen dreisten Publius Clodius übertragen, der seit Jahren mit Cicero in der erbittertsten Feindschaft lebte. … Den erhaltenen Aufträgen gemäß schlug Clodius der Bürgerschaft vor, Cato mit der Regulierung der verwickelten Gemeindeverhältnisse der Byzantiner und mit der Einziehung des Königreichs Kypros zu beauftragen, welches ebenso wie Ägypten durch das Testament Alexanders II. den Römern angefallen war und nicht, wie Ägypten, die römische Einziehung abgekauft, dessen König überdies den Clodius vor Zeiten persönlich beleidigt hatte. Hinsichtlich Ciceros brachte Clodius einen Gesetzentwurf ein, welcher die Hinrichtung eines Bürgers ohne Urteil und Recht als ein mit Landesverweisung zu bestrafendes Verbrechen bezeichnete.
Cato also ward durch eine ehrenvolle Sendung entfernt, Cicero wenigstens mit der möglichst gelinden Strafe belegt, überdies in dem Antrag doch nicht mit Namen genannt. Das Vergnügen aber versagte man sich nicht, einerseits einen notorisch zaghaften und zu der Gattung der politischen Wetterfahnen zählenden Mann wegen von ihm bewiesener Energie zu bestrafen, andererseits den verbissenen Gegner aller Eingriffe der Bürgerschaft in die Administration und aller außerordentlichen Kommandos durch Bürgerschaftsbeschluß selbst mit einem solchen auszustatten; und mit gleichen Humor ward der Cato betreffende Antrag motiviert mit der abnormen Tugendhaftigkeit dieses Mannes, welche ihn vor jedem andern geeignet erscheinen lasse, einen so kitzlichen Auftrag, wie die Einziehung des ansehnlichen kyprischen Kronschatzes war, auszuführen, ohne zu stehlen.
Beide Anträge tragen überhaupt den Charakter rücksichtsvoller Deferenz und kühler Ironie, der Caesars Verhalten dem Senat gegenüber durchgängig bezeichnet. Auf Widerstand stießen sie nicht. Es half natürlich nichts, daß die Senatsmajorität, um doch auf irgendeine Art gegen die Verhöhnung und Brandmarkung ihres Beschlusses in der Catilinarischen Sache zu protestieren, öffentlich das Trauergewand anlegte und daß Cicero selbst, nun da es zu spät war, bei Pompeius kniefällig um Gnade bat; er mußte, noch bevor das Gesetz durchging, das ihm die Heimat verschloß, sich selber verbannen. Cato ließ es gleichfalls nicht darauf ankommen, durch Ablehnung des ihm gewordenen Auftrags schärfere Maßregeln zu provozieren, sondern nahm denselben an und schiffte sich ein nach dem Osten. Das Nächste war getan; Caesar konnte Italien verlassen, um sich ernsteren Aufgaben zu widmen. (Mommsen, Römische Geschichte, 5. Buch, 6. Kapitel. München: dtv 1984, Bd. 4, 212f.)

Nach der vorzeitig erlaubten Rückkehr aus der Verbannung opponierte Cicero zunächst gegen die Machthaber, doch wechselte er bald die Seiten und unterstützte ihre Politik.

Der gedemütigte Senat mußte wohl oder übel in seine Lage sich schicken. Der Führer der gehorsamen Majorität blieb Marcus Cicero. Er war brauchbar wegen seines Advokatentalents, für alles Gründe oder doch Worte zu finden, und es lag eine recht Caesarische Ironie darin, einen Mann, mittels dessen vorzugsweise die Aristokratie ihre Demonstrationen gegen die Machthaber aufgeführt hatte, als Mundstück des Servilismus zu verwenden. Darum erteilte man ihm Verzeihung für sein kurzes Gelüsten, wider den Stachel zu löcken, jedoch nicht ohne sich vorher seiner Unterwürfigkeit in jeder Weise versichert zu haben. (l.c. 5.Buch, 8. Kapitel; Bd 4,316)
Mit Marcus Cato aber verhielt es sich so, daß am Ende sein verbissener Rechtsformalismus lieber die Republik von Rechts wegen zugrunde gehen ließ, als sie auf irreguläre Weise rettete (l.c. 5,113).
Es ist mehr Adel und vor allem mehr Verstand in Catos Tod, als in seinem Leben gewesen war. ... Es erhöht nur die tiefe und tragische Bedeutung seines Todes, daß er selber ein Tor war: eben weil Don Quichotte ein Tor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist erschütternd, daß auf jener Weltbühne, darauf so viele große und weise Männer gewandelt und gehandelt hatten, der Narr bestimmt war, zu epilogisieren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es war ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monarchie, daß der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch kam (l.c. 5,125).

„Petulant“ (lat., fr.) = ausgelassen, frech; „Deferenz“ (fr.) = Ehrerbietung. Diese Wörter stehen weder im Duden noch im Wahrig.

Zum Text wäre nur noch anzumerken, daß Wilfried Stroh, Altphilologe und Lobredner des Lateinischen, den Fall Cicero anders beurteilt als Mommsen. Er behauptet über Cicero: „So nimmt man die Hinrichtung der Catilinarier zum Vorwand, um ihn, den Patron der freien republikanischen Verfassung, ohne Prozeß, durch nackte Gewaltandrohung, für eine Zeit aus Italien zu vertreiben“ (Latein ist tot, es lebe Latein S.51). Diese Meinung entspricht aber, wie gezeigt, nicht der historischen Wahrheit, denn die Verbannung Ciceros war durch ein Gesetz begründet worden.

Es überrascht nun nicht, daß Stroh das verachtungsvolle, wahrhaft vernichtende Urteil Mommsens über Cicero als Politiker nicht teilen kann. Auch sind Strohs Sympathien für den Redner und Meister der lateinischen Sprache so ausgedehnt, daß er Cicero als Philosophen ebenfalls überschätzt. Er bringt es fertig, ihn den römischen Plato und zugleich einen Popularphilosophen im besten Sinn zu nennen, eine Zusammenstellung, die ein schlechter Witz ist. Auch billigt er Ciceros Ansicht, daß die Redekunst die Philosophie kröne, weil sie die Gedanken wirkungsvoller ausdrücken könne als die Philosophen – womit Cicero eine Hilfswissenschaft, die Rhetorik, zur Hauptsache macht (l.c. 53). Diese sophistische These aber hatte wiederum gerade Platon mit guten Gründen verworfen.

Mommsens Gesamturteil über Cicero aber lautet:

Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchie figuriert und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäßig abgetan.
In literarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben worden, daß er der Schöpfer der modernen lateinischen Prosa war; auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung, und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als Staatsmann.
Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes, an Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hilfe weniger Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzend oder kompilierend hergestellt hätte. (l.c. 5,284)

Im 5. Buch, 11. Kapitel, hat Mommsen aber das Porträt des Helden seiner Römischen Geschichte gezeichnet: Gaius Julius Caesar, das großartigste Charakterbild der deutschen Geschichtsschreibung, durchaus ebenbürtig dem nüchternen Pathos der Prosa des Historikers Friedrich Schiller. Ich möchte hier wenigstens die Schlußsätze dieser exzellenten Würdigung zitieren:

Menschlich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichgewichtspunkt, in welchem die großen Gegensätze des Daseins sich ineinander aufheben. Von gewaltiger Schöpferkraft und doch zugleich vom durchdringendsten Verstande; nicht mehr Jüngling und noch nicht Greis; vom höchsten Wollen und vom höchsten Vollbringen; erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren zum König; ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wieder berufen, die römische und die hellenische Entwicklung in sich wie nach außen hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Caesar der ganze und vollständige Mensch. (l.c. 5,133)

J.Q. — 10. Dez. 2021

© J.Quack


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