Josef Quack

Zum Idiom des Kreuzworträtsels




Quidquid recipitur, ad modum recipientis recipitur. Was verstanden wird, wird nach Art des Verstehenden verstanden.

Logische Maxime

Ein Buch ist ein Spiegel. Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Apostel herausschauen.

G.Ch. Lichtenberg

Wie die meisten Dinge im Leben hat auch das Kreuzworträtsel zwei Seiten, unbestreitbare Vorzüge und offensichtliche Nachteile. Im Idealfall sind Kreuzworträtsel unterhaltsam, amüsant, informativ und belehrend. Im ungünstigsten Fall sind sie langweilig, konventionell, eintönig oder extrem bizarr, ein Reservoir nutzlosen und überflüssigen Wissens, zum Beispiel den Namen eines der Wölfe Wotans erfragend, Geri.

Im Durchschnitt aber kann man damit rechnen, daß ihre Lösung ein gutes Training des passiven Wortschatzes ist, jener Wörter, die wir selbst nicht gebrauchen, aber doch verstehen können. Als Gedächtnisübung dürfte das Kreuzworträtsel natürlich gut für Leute jeden Alters sein, um der Vergeßlichkeit vorzubeugen, die ein allgemein-menschliches Manko ist. Es ist nämlich ein verbreiteter Irrtum, daß Vergeßlichkeit ein typisches Altersgebrechen sei – ich kenne nicht wenige junge Springinsfelde, die sich gerne an Unangenehmes nicht erinnern.

Im folgenden meine ich immer das gewöhnliche Kreuzworträtsel, das aus zwei Stufen besteht: dem gesuchten Wort und der Umschreibung, Definition oder dem Synonym des gesuchten Wortes.

Bekanntlich gibt es einen weiteren Typus des Kreuzworträtsels, den man oft in Intelligenzblättern findet. Er besteht aus drei Stufen: dem gesuchten Wort, der Umschreibung des gesuchten Wortes und der Umschreibung dieser Umschreibung. Diese Art der Verrätselung setzt aber die höchste Wortgewandtheit voraus, über die aber die wenigsten Rätselmacher verfügen; so sind die meisten dieser zweifach verschlüsselten Kreuzwortspiele der reinste Sprachkrampf, eine Verballhornung des Deutschen, ein Greuel dem Liebhaber der Frau-Mutter-Sprache.

Was nun die Lösung angeht, so ist es hilfreich, wenn man die Statistik dieses Wortspieles kennt. Hier die Daten eines zufällig ausgewählten Spiels mit dem Format von 18cm mal 24cm, in dem durchschnittlich Wörter verschiedener Länge in dieser Häufigkeit vorkommen:
Wörter mit drei Buchstaben: 5
Wörter mit vier Buchstaben: 15
Wörter mit fünf Buchstaben: 16
Wörter mit sechs Buchstaben: 20
Wörter mit sieben Buchstaben: 6
Wörter mit acht Buchstaben: 0
Wörter mit neun Buchstaben: 3
Wörter mit zehn Buchstaben: 3

Wörter mit zwei Buchstaben sind die reinste Verlegenheit, eine recht stupide Sache, Ausdrücke, die gewöhnlich aus italienischen Tonsilben bestehen, Abkürzungen chemischer Elemente oder den Initialen angegebener Personen, sinnlose Füllsel, eine Beleidigung der Intelligenz des Lesers und Raters. Davon macht auch „Io“, eine Geliebte des Zeus, keine Ausnahme, da sie, in einem witzlosen Kontext gefragt, in schlechte Gesellschaft geraten ist.

Meist sind also Wörter gesucht mit vier, fünf oder sechs Buchstaben. Wenn eine Koseform für ein Elternteil gesucht wird, so entscheidet die Zahl der Buchstaben, ob Vati oder Mutti gemeint ist. Bei der gesuchten Baltin oder Europäerin hängt es vom Kontext ab, ob Estin oder Lettin, Irin oder Polin gewünscht wird.

Was die Sachgebiete der fraglichen Wörter angeht, so werden oft geographische Namen bevorzugt, Namen von Städten, Flüssen, Gebirgen, Staaten. Seltener kommen historische Namen vor, dagegen findet man immer wieder aus mir unerfindlichen Gründen auch mythologische Namen, die Geliebte oder Frau von Zeus, die Tochter des Tantalus, die Göttin der Morgenröte und des Friedens u.ä.

Dichternamen kommen öfter vor, häufig „Ovid“ wegen der vier Buchstaben, desgleichen „Mann“ oder wegen des gleichen Grundes „Roth“, wobei aber Eugen, nicht der bedeutendere Joseph Roth gemeint ist, ein Zugeständnis an den volkstümlichen Geschmack. Man ist dann aber erfreut, wenn einmal nach Alfred Döblin gefragt wird, der es verdient hätte, öfter genannt zu werden.

Von den Lichtern des Nachthimmels werden seltener die Namen erfragt. Ein Sternbild mit fünf Buchstaben ist meist „Orion“, ein Stern mit vier Buchstaben ist gewöhnlich „Mira“ im Walfisch, seltener „Wega“ in der Leier.

Was aber die Bezeichnung der Dinge, Tätigkeiten und Menschen angeht, so kann man bei dem gesuchten Begriff den Inhalt von seinem Umfang unterscheiden. Wenn nach Straftäter gefragt wird, kann das Synonym, die Bedeutung gemeint sein, nämlich „Verbrecher“, oder ein bestimmter Straftäter, der zum Begriffsumfang des Wortes gehört wie zum Beispiel „Dieb“, „Mörder“, „Erpresser“. Wenn nach „Prophet“ gefragt wird, kann das Synonym „Seher“ gemeint sein oder ein bestimmter Prophet wie „Elias“ oder „Ezechiel“, „Mohammed“ oder gar „Spengler“ oder „Heidegger“. Die Antwort auf „Regierungsform“ kann das Synonym „Regime“ sein, oder „Republik“, „Monarchie“, „Oligarchie“ u.ä.

Ärgerlich bei der ganzen Chose sind natürlich die eingefahrenen Konventionen dieser Vorlagen, daß immer wieder die gleichen Wörter gesucht werden: Imme, Eule, Uhu, Ural, Nero, Aura, Anne, Nora, Neon, Nanu, Ahoi – alles Wörter mit vier Buchstaben. Wenn eine Südslawin gesucht wird, ist es immer die Serbin, wegen der Zahl ihrer Lettern. Erdrückende, blamable Zeugnisse der Einfallslosigkeit und Bequemlichkeit der Autoren dieser Wortspielereien.

Beliebt ist auch „Ase“, eine germanische Gottheit mit sonst unbekannter Funktion, außer ihrer Dienlichkeit für dieses Rätsel. Dies ist auch der Vorzug von „Aser“, der sonst unbekannten Jagdtasche, oder von „Yeti“, dem sagenhaften Schneemenschen des Himalaja. Immer gefragt ist hier auch „Nessie“, das schottische Ungeheuer.

Gänzlich unbekannt, weder im Duden noch im Wahrig zu finden ist das Wort „Anse“ in der Bedeutung von Gabel-Deichsel. Der Duden (2009) kennt es nur in der Bedeutung von „kleine, seichte Bucht“. „Kid“ steht nicht nur amerikanisch für Jugendlicher, Kleiner, sondern auch für Ziegen- und Schafsleder – eine beiläufige Information dieser Rätselart.

Überraschend und wahrhaft bereichernd sind dagegen einige kluge Definitionen bekannter Wörter, so „Urstoff“ für „Materie“. Daß „lieber“ mit „vorzugsweise“ übersetzt wird, kann man hinnehmen. „Akut“ wird treffend mit „vordringlich“ übersetzt, während der Duden den Ausdruck verlegen mit Beispielen erläutert: „dringendes Problem“, „unvermittelt auftretende Krankheit“. Wahrig definiert wie immer besser und präziser: „im Augenblick wichtig, brennend, dringend“.

Ungewohnt, aber doch einsichtig und passabel ist „das Unsterbliche“ als Definition für „Seele“.

Ein eigenes Kapitel sind die Umschreibungen für alltägliche Verrichtungen. So etwa „Bereitliegendes mitnehmen“ für „abholen“. „Spiel“ als „Freizeitbeschäftigung“ ist ebenfalls akzeptabel.

Und natürlich trifft man auf eine unvermeidliche Reihe von Zweifelhaftem, Unsicherem in der Formulierung des Gesuchten. So ist etwa „Klient“ zwar ein „Mandant“, aber doch kein „Auftraggeber“, sondern ein „Kunde“, meist eines Anwalts. Eine „Magd“ ist nicht nur eine Landarbeiterin früherer Zeiten, sondern gleichbedeutend mit „Dienerin“ im allgemeinen. „Rallen“ sind, wie richtig angegeben, „Sumpfhühner“; verwirrend ist jedoch, daß sie auch „Kranichvögel“ sein sollen, wie ebenfalls notiert. Des Rätsels Lösung: Die Familie der Rallen und die Familie der Kraniche gehören beide zu der Ordnung der Gruiformes, der Kranichartigen.

"Term" soll ein "Glied einer mathematischen Formel" bezeichnen - diese Definition wurde offenbar vom Rechtschreibe-Duden blindlinks übernommen; nichtsdestoweniger ist sie höchst ungenau, weil sie nur eine spezielle Bedeutung, nicht aber die allgemeine Bedeutung des Wortes wiedergibt. Im Fremdwörter-Duden wird immerhin an dritter Stelle die gewöhnliche Bedeutung des Wortes notiert, wonach "Term" soviel heißt wie "Terminus", auf deutsch: "Begriff", auch "philosophischer Begriff" oder "Fachbegriff". "Term" ist in philosophischen Texten gewöhnlich ein unschöner Anglizismus, wo "Terminus" gemeint ist und der bessere Ausdruck wäre.

„Zahl“ wird mit „Ziffer“, „Nummer“ übersetzt, was eine Konzession an den gewöhnlichen Sprachgebrauch ist und die Wörter nennt, die mit „Zahl“ meist assoziiert werden. „Zahl“ hat aber nicht die gleiche Bedeutung wie „Ziffer“. „Ziffer“ kommt aus dem Arabischen und bedeutet „graphisches Zeichen“ für Zahl. Diese Ungenauigkeit kann man verzeihen, da selbst in Lexika und philosophischen Wörterbüchern bis heute keine genaue, d.h. richtige Definition der Zahl zu finden ist.

Mit diesem Begriff sind enorme Schwierigkeiten verbunden, wie man aus der wahrhaft frappierenden Tatsache ersieht, daß erst der Philosoph Gottlob Frege (1879-1918), ein genialer Logiker, die richtige Definition der Zahl gefunden hat. Dazu bemerkt Bertrand Russell, selbst ein logischer Philosoph von höchstem Rang, „daß vor Frege jede vorgeschlagene Definition der Zahl elementare logische Fehler aufwies. Es war üblich, ‚Zahl’ mit ‚Anzahl’ zu identifizieren. Aber ein Beispiel für ‚Zahl’ ist eine bestimmte Zahl, etwa 3, und ein Beispiel für 3 ist eine bestimmte Dreiheit. Eine Dreiheit ist eine Anzahl, aber die Gattung der Dreiheiten – welche Frege mit der Zahl 3 identifizierte – ist eine Anzahl von Anzahlen; und die Zahl im allgemeinen, für die 3 ein Beispiel darstellt, ist eine Anzahl von Anzahlen von Anzahlen. Der elementare Fehler, diese mit der einfachen Anzahl einer gegebenen Dreiheit zu verwechseln, machte die ganze Philosophie der Zahl vor Frege zu einem Konglomerat von ‚Unsinn’ in des Wortes strengster Bedeutung.“ (Bertrand Russell, Philosophie des Abendlandes 1999, 837).

Wenn selbst die Verfasser von Philosophischen Wörterbüchern und allgemeinen Lexika nicht wissen, was Zahl wirklich bedeutet, kann man von den Autoren der Kreuzworträtsel nicht verlangen, daß sie die richtige Definition kennen, beziehen sie doch ihre Weisheit hauptsächlich aus Lexika (cf. J.Q., Wenn das Denken feiert. S.178.).

Damit aber ist ein weiterer Nachteil des Kreuzworträtsels genannt. Es verbreitet nur lexikalisches Wissen, Namen und Stichworte ohne jeden Zusammenhang, der ihre Funktion und Bedeutung erläutern könnte. In dieser Eigenschaft hilft es lediglich oder am meisten den Lesern, die schon über ein systematisches Wissen verfügen und mit den gesuchten Wörtern eine sachliche Vorstellung verbinden. Wer hat, dem wird gegeben …

© J.Quack — 13.Nov. 2023


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