Josef Quack

Über "Ausländer", ein verpöntes Wort




Der Fremde ist nur in der Fremde fremd.

K. Valentin

Die Deutschen sitzen an der Tafel einer Kultur, bei der Prahlhans Küchenmeister ist.

K. Kraus

Reinhart Koselleck, scharfsinniger Analytiker historischer Begriffe, klagte einmal, die politische Korrektheit sei weithin identisch mit Feigheit. Er meinte, Wissenschaftler, die die Tabus der politischen Korrektheit übernähmen, seien deshalb feige, weil sie es besser wüßten, d.h. weil sie wüßten, daß die politisch korrekte Redeweise die Dinge meist verfälsche. Politische Korrektheit ist also auch gleichbedeutend mit sachlicher Dummheit. Dem müßte man noch hinzufügen, daß sie meist auch gleichbedeutend ist mit sprachlicher Inkompetenz.
Dies zeigt sich besonders deutlich in dem Verbot, Ausländer als Ausländer zu bezeichnen; statt dessen sollte man sie nach der Vorschrift der politisch Korrekten „Menschen mit Migrationshintergrund“ nennen — ein bürokratisches Wortungetüm, dessen Erfinder wahrlich die Palme sprachlichen Unvermögens redlich verdient haben. Das Traurige ist aber, daß unsere politisch korrekten Politiker und die gleichgesinnten Medienvertreter diese stilistische Phrase ständig ebenso brav wie gedankenlos nachsprechen.
Jene umständliche Kennzeichnung der Ausländer ist ein rechter Nebelwerfer. Er umfaßt nicht nur die Ausländer im üblichen Sinn, sondern auch die Deutschen, die aus Schlesien und Ostpreußen vertrieben wurden, und die Flüchtlinge aus der DDR. Schließlich stellt sich heraus, daß auch schon Adam und Eva, die bekanntlich aus dem Paradies auswandern mußten, Menschen mit Migrationshintergrund waren. Kurzum, der dehnbare Begriff hat damit jede differenzierende oder erklärende Kraft verloren. Mit anderen Worten, er ist wissenschaftlich ohne Wert.
Die Frage ist nun: Warum wurde das Wort „Ausländer“ verpönt? Was ist das Motiv, das hinter diesem Verbot steckt? Welcher Gedanke — wenn man hier überhaupt von Denken sprechen kann — veranlaßt diese unduldsamen Sprachpfleger, dieses Wort zu meiden, wie der Teufel das Weihwasser? Offenbar meinen sie, man würde einen Ausländer beleidigen, wenn man ihn einen Ausländer, nämlich einen Nicht-Deutschen, nennt. Die politisch korrekten Deutschen meinen, wenn sie Nicht-Deutsche von Deutschen unterschieden, würden sie das Deutschsein positiv und das Nicht-Deutsch-sein negativ bewerten.
Hinzukommt, daß die politische Korrektheit ein amerikanischer Importartikel ist und ihre Anhänger hierzulande alle mehr oder weniger stark amerikanisiert sind. Sie scheinen „ausländisch“ mit „outlandish“ zu verwechseln, das so viel bedeutet wie: fremdartig, unkultiviert, rückständig. So glauben sie, es sei diffamierend, jemand einen Ausländer zu nennen.
So ungefähr dürfte der verquere Gedankengang dieser seltsamen Leute beschaffen sein. Doch können wir uns ihnen gegenüber nicht die sprichwörtliche Großmut der Indianer leisten, „die niemals Hand an jene legten, deren Geist sie verwirrt glaubten“ (J.F. Cooper). Die politischen Vorschriftenmacher versuchen nämlich die Öffentlichkeit in ihrem Sinne massiv zu beeinflussen und zu verwirren. Man muß diesen Leuten, die ihre Mitmenschen gerne bevormunden, entschieden widersprechen.
Hinter der Tabuisierung des „Ausländer“-Wortes lassen sich also, wie man leicht erkennen kann, zwei intellektuelle Fehler ausmachen: ein total verkorkstes Nationalbewußtsein und eine falsche Denkform, die sie übrigens mit ihren Widersachern teilen, den von ihnen verabscheuten Ausländerhassern.
Die politisch Korrekten deutscher Zunge schämen sich insgeheim, Deutsche zu sein. Sie haben für sich, was ihre ethnische Herkunft und Nationalität angeht, die These der historischen Kollektivschuld der Deutschen recht eigentlich verinnerlicht. Diese Einstellung impliziert wiederum, daß sie im Kontext der nationalen Zugehörigkeit in Kollektivbegriffen denken. Was moralische Schuld angeht, so haben sie niemals begriffen, daß die Moral nach einem schönen Wort von Alfred Döblin nur im Singular vorkommt. D.h. moralische Schuld kann man nur dem je einzelnen Menschen, dem Individuum im strikten Sinne, zusprechen (cf. J.Q., Diskurs der Redlichkeit, S.191). Deshalb war es zum Beispiel moralisch geboten, jeden einzelnen Nazi, der Verbrechen begangen hatte, zu erfassen und vor Gericht zu stellen.
Wer aber in Schablonen der Kollektivschuld denkt, ist atavistischen oder mythischen Denkschemata verhaftet. Diese Einstellung zeigt sich auch darin, daß die politisch Korrekten unterstellen, daß jemand, der von Ausländerkriminalität spricht, damit automatisch oder implizit alle Ausländer für Kriminelle hält. So sprechen sie denn auch vernebelnd von Männern mit Mitgrationshintergrund, die an Silvester in Köln Übergriffe auf Frauen begangen haben, und nicht von Ausländern und erst recht nicht von Marokkanern und Algeriern, die, wie inzwischen festzustehen scheint, jene Belästigungen verübt haben. Überdies haben sie ganz vergessen, daß ähnliche Verbrechen bezeichnenderweise schon bei Demonstrationen in Kairo vorgekommen sind und daß die barbarischen Belästigungen der Frauen auf den Straßen Indiens durchaus von ähnlicher Qualität sind. Unsere oberlehrerhaften Politikverbesserer leugnen in ihrer Engstirnigkeit einfach, daß es spezifische, durch besondere soziale Umstände bedingte Formen der Ausländerkriminalität gibt.
Außerdem ergibt sich daraus, daß diese Verfechter der politisch richtigen Einstellung kurioserweise mit ihren ideologischen Antipoden darin übereinstimmen, daß sie im Hinblick auf das Selbstverständnis des Menschen das nationale Moment viel zu wichtig nehmen. Wenn sich irgendwo die Extreme berühren, dann hier.
Die Extreme berühren sich hier in dem Sinn, wie naive Amerikaner seinerzeit Kommunismus und das ideologische Gegenstück verstanden haben. Nach einer Erzählung von Uri Avneri sollte in der McCarthy-Ära ein Polizist einmal Kommunisten festnehmen. Als ein Betroffener dagegen protestierte, er sei doch Antikommunist, sagte der Polizist: „Mir ist egal, was für ein Kommunist Sie sind; ich muß alle Kommunisten verhaften“.
Sowohl für die Fans als auch für die Feinde der Ausländer ist die Nationalität oder die Abstammung eines Menschen eine fixe Idee. Sie messen ihr eine größere Bedeutung bei, als ihr de facto gewöhnlich zukommt. Die einen wie die anderen sind Fanatiker und rationalen Argumenten schwer zugänglich.
In der Regel wenden sich die politisch empfindsamen Sprachregler auch gegen den Vorschlag, daß Einwanderer sich formell oder ausdrücklich zur deutschen Leitkultur bekennen müßten. Hier wäre zu fragen, was damit überhaupt gemeint ist. Wenn damit auch die deutsche Sprache gemeint, dann wäre dazu zweierlei zu sagen.
Wenn die politisch Korrekten wieder einmal unterstellen, daß die Forderung, die Einwanderer sollten sich gefälligst um ausreichende Deutschkenntnisse bemühen, an und für sich einen nationalistischen Geist verrate, dann sind sie im Irrtum. Sie irren sich, wenn sie annehmen, ein Plädoyer für die deutsche Sprache sei per se nationalistisch. Die leidenschaftlichsten Liebhaber und unnachsichtigsten Verteidiger der deutschen Sprache, Arthur Schopenhauer und Karl Kraus, waren alles andere als Nationalisten, nämlich entschiedene Kritiker des deutschen Nationalismus (cf. J.Q., Zum Sprachverständnis von Karl Kraus).
Andererseits muß man fragen, ob ein Staat, der vor wenigen Jahren die seit Menschengedenken törichtste Rechtschreibereform eingeführt hat (cf. J.Q., Fetisch Reform: die Neue Rechtschreibung) und der derzeit auf den Hochschulen das Deutsche als Unterrichtssprache durch Englisch zu ersetzen im Begriff steht, in moralischer Hinsicht überhaupt berechtigt ist, von seinen Bürgern irgendwelche Deutschkenntnisse zu fordern. Doch ist diese kritische Überlegung vielleicht ein wenig zu hoch und zu subtil, als daß sie von politisch Korrekten und Geschöpfen ähnlicher Art verstanden werden könnte.

J.Q. — 13. Jan. 2016

© J.Quack


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